Mirko Hüppi
fährt in Österreich auf Gras zu einem doppelten Erfolg.
Ender Seba, CEO und Chefarzt der Klinik Sonnenhof in Ganterschwil.
Der Umgang mit schwierigen Lebenssituationen kann für Kinder und Jugendliche belastend sein. Dabei kann es vorkommen, dass sie sich körperlich krank fühlen oder nicht im Einklang mit den Gefühlen und dem Denken sind, die Umwelt und sich selbst anders wahrnehmen und darunter leiden.
Ganterschwil Wenn die Gefühlswelt bei Kindern und Jugendlichen aus den Fugen gerät und sie sich unter Umständen gar ritzen, also selbst verletzen, sitzt der Schock bei den Eltern tief. Die Ursachen dafür sind vielfältig und professionelle Unterstützung sollte in Anspruch genommen werden. Das bestätigt auch Ender Seba, Chefarzt der Klinik Sonnenhof. Die ToZ hat den Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie FMH befragt.
Ender Seba, was beschäftigt Sie in Bezug auf die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen am meisten?
Mich beschäftigen mehrere Aspekte. Ein zentrales Problem ist die zunehmende Komplexität der psychischen Störungen, die immer häufiger auch jüngere Kinder betrifft. Dies erfordert nicht nur spezialisierte Ansätze, sondern auch zusätzliche Ressourcen, um den individuellen Bedürfnissen dieser Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden.Ein weiteres grosses Problem ist der Mangel an Plätzen in sozialpädagogischen oder therapeutischen Einrichtungen sowie das Fehlen von ambulanten Versorgungsmöglichkeiten vor Ort, wie beispielsweise Home Treatment. Aufgrund psychosozialer Schwierigkeiten werden Kinder oft in stationäre psychiatrische Einrichtungen eingewiesen, was die psychiatrischen Dienste überlastet und die Wartezeiten weiter verlängert.
Gibt es noch weitere Faktoren?
Ja, auch der Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist besorgniserregend. Einige Kolleginnen und Kollegen stehen vor dem Ruhestand, und es gibt nicht genügend Nachwuchs, um diese Lücken zu füllen. Junge Fachkräfte müssen oft mit wenig Erfahrung grosse Verantwortung übernehmen, was langfristig zu Überforderung führt. Dies führt zu einem Teufelskreis und verstärkt den Fachkräftemangel.Besonders problematisch sind auch Änderungen der Finanzierung im Schweizer Gesundheitssystem, vor allem wenn sie ohne vorherige Konsultation von Fachleuten durchgeführt werden. Angesichts der Tatsache, dass etwa 85 bis 90 Prozent der kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlungen ambulant erfolgen, stehen unter anderem die kinder- und jugendpsychiatrischen Tageskliniken in der Schweiz aufgrund dieser Finanzierungsänderungen vor einer finanziellen Krise. Damit verlieren die politischen Forderungen nach «ambulant vor stationär» ihre Bedeutung.
Man hört immer wieder, dass vermehrt Kinder die Hilfe von Schul- oder Kinder- und Jugendpsychiatern in Anspruch nehmen müssen. Wo sehen Sie die Hauptgründe dafür?
Ich finde, dass die Hauptgründe vielfältig und komplex sind. Einerseits haben der zunehmende Leistungsdruck und die hohen Erwartungen, die an junge Menschen gestellt werden, zu einer Verschärfung von Stress, Angstzuständen und Depressionen geführt.
Ein weiterer bedeutender Faktor ist die Rolle der sozialen Medien und digitalen Technologien. Zusätzlich haben sich familiäre Strukturen und Erziehungsstile verändert, was oft zu weniger emotionaler Unterstützung und einem instabileren Umfeld führt. Diese Veränderungen erhöhen das Risiko für psychische Probleme und den Bedarf an externer Unterstützung.
Gleichzeitig ist die Sensibilisierung für psychische Gesundheit gestiegen, was eine positive Entwicklung darstellt. Man ist heute eher bereit, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um Kinder und Jugendliche zu unterstützen. Diese erhöhte Bereitschaft führt dazu, dass mehr junge Menschen Zugang zu den benötigten psychischen Gesundheitsdiensten erhalten.
Zudem haben globale Krisen, insbesondere die Covid-19-Pandemie, die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen stark belastet. Isolation, Unsicherheit und der Verlust von Routinen haben zu einem Anstieg psychischer Probleme geführt und bestehende Trends noch verstärkt.
Welche Rolle spielen die Digitalisierung und Social-Media?
Die Nutzung sozialer Medien bringt sowohl positive als auch negative Effekte mit sich. Kinder und Jugendliche sind häufig dem ständigen Vergleichsdruck und Cybermobbing ausgesetzt, was zu erheblichen psychischen Belastungen führt.
Negative Inhalte und der permanente Vergleich mit idealisierten Darstellungen in sozialen Medien beeinträchtigen das Selbstwertgefühl beeinträchtigen und verstärken psychische Probleme. Vor allem Jugendliche, aber zunehmend auch schon Kinder, lassen sich von diesem inszenierten Perfektionismus blenden.
Was könnte diesbezüglich verbessert werden?
Es bringt aktuell wenig, über die Digitalisierung und sozialen Medien zu schimpfen, denn Smartphones und digitale Technologien sind heutzutage nicht mehr wegzudenken. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, wie wir diese Technologien sicher und gesund nutzen können. Eltern, Schulen und die Gesellschaft insgesamt müssen Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, «gesunde Online-Gewohnheiten» zu entwickeln. Dazu gehört, dass wir ihnen helfen, kritische Medienkompetenz zu entwickeln und ihnen beibringen, wie sie die positiven Aspekte sozialer Medien nutzen können, ohne sich den negativen Einflüssen auszusetzen. Eine ausgewogene Nutzung, kombiniert mit ausreichend physischer Aktivität und Schlaf, ist essenziell für die psychische Gesundheit junger Menschen. Es ist wichtig, dass Eltern und Erziehungsberechtigte klare Regeln und Strukturen für den Medienkonsum ihrer Kinder schaffen und gleichzeitig als Vorbilder fungieren.
Während der Coronazeit war bezüglich Freizeitgestaltung vieles nicht möglich. Kann man abschätzen, wie sich dies auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ausgewirkt hat?
Das Leben der Kinder und Jugendlichen hat sich in der Coronazeit drastisch verändert, da die gewohnte Alltagsstruktur weggebrochen ist. Dies betraf nicht nur sie selbst, sondern hatte auch erhebliche Auswirkungen auf den Rest der Familie. Das familiäre Umfeld geriet aus dem Gleichgewicht und es entstanden neue Herausforderungen, die bewältigt werden mussten. Inzwischen haben verschiedene Studien gezeigt, dass Massnahmen wie Lockdowns, Schulschliessungen und soziale Distanzierung zu einem Anstieg von Angstzuständen, Depressionen und anderen psychischen Problemen bei jungen Menschen geführt haben. Durch eine Meta-Analyse fand man heraus, dass die Anzahl von Angstzuständen bei Kindern und Jugendlichen während der Pandemie signifikant höher war als davor. Auch depressive Symptome und emotionale Störungen nahmen deutlich zu. Der Verlustsozialer Kontakte und der eingeschränkte Zugang zu Freizeitaktivitäten haben das Gefühl der Isolation verstärkt und somit das Wohlbefinden der Kinder negativ beeinflusst. Studien betonen, dass besonders Kinder aus sozial benachteiligten Familien, stark von den negativen Auswirkungen der Pandemie betroffen waren.
Was kann die Gesellschaft machen, damit es den Kindern besser geht?
Es ist schwierig, diese Frage kurz zu beantworten, dennoch versuche ich meine Gedanken prägnant zusammenfassen. Ich bin der Meinung, dass die mentale Gesundheit unserer jungen Generation durch eine ganzheitliche Herangehensweise nachhaltig gestärkt werden kann. Durch das Schaffen eines unterstützenden Umfelds mit emotionaler Verbundenheit und Anerkennung könnte viel erreicht werden. Die Gesellschaft muss sich der wichtigen Rolle bewusster werden, die sichere und liebevolle Bindungen spielen, um Kindern zu ermöglichen, Resilienz und Selbstwertgefühl zu entwickeln. Zusätzlich sollten Präventionsprogramme darauf abzielen, junge Menschen früh zu erreichen und Schutzfaktoren zu stärken. Diese sollten nicht nur Fachkräfte des Gesundheitswesens, sondern auch Erwachsene im direkten Umfeld der Jugendlichen einbeziehen.
Obwohl bereits Fortschritte gemacht wurden, muss das Stigma rund um psychische Gesundheitsdienste weiterhin abgebaut werden. Hierfür ist umfassende Aufklärungsarbeit erforderlich, die sich sowohl an junge Menschen als auch an Erwachsene richtet. Des Weiteren könnten die Unterstützungsangebote auch gemeinsammit den Jugendlichen entwickelt werden, um sicherzustellen, dass sie ihren Bedürfnissen entsprechen und leicht zugänglich sind. Ein stetiges Beobachten der psychischen Gesundheit und der Nutzung psychosozialer Dienste erachte ich als essenziell, um die Entwicklungen im Laufe der Zeit zu bewerten und somit die Versorgung kontinuierlich zu verbessern.
Interview: Andreas Lehmann
Am kommenden Samstag lädt die Klinik Sonnenhof von 10 bis 16 Uhr zu einem Rundgang ein und gewährt Einblicke in den Klinikalltag.
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