Gianfranco Salis
gehört zu den Initianten eines neuen Fests im Seedorf Schmerikon.
Am 4. Juni 1973 begann für Werner Fust das Abenteuer als Postbote. Mit 15 Jahren startete der gebürtige Toggenburger die damals noch einjährige Lehre bei der Post Wil. Nun ist er 65 und wird noch heute, am 22. Dezember, nach fast einem halben Jahrhundert bei der Post pensioniert.
Brunnadern Als erste Aufgabe werden morgens die Briefe und Pakete sortiert. Danach fährt man mit dem vollgepackten Auto los. Täglich werden so bis zu 70 Kilometer zurückgelegt. «Mittags kam ich mit dem leeren Auto wieder zurück und fühlte mich erleichtert einen guten Job gemacht zu haben. Es war wie das Gefühl einer Erlösung. Vor allem im Winter, wenn das Auto unversehrt und ohne Beule wieder zurück bei der Post stand.» Werner Fust schaut auf eine wunderschöne Zeit bei der Post zurück. Nach knapp 50 Jahren bei dem gleichen Arbeitgeber ging er am Donnerstag in den Ruhestand.
Werner Fust wuchs mit vier Geschwistern auf einem Bauernhof in Bütschwil auf. Allerdings wusste er schon früh, dass die Landwirtschaft nicht seine Berufung war. Deshalb orientierte er sich anders. «Werner, geh doch zur Post, das ist ein sicherer Job», schlug seine Mutter vor. Er hörte auf sie und hat die Entscheidung nie bereut. So hatte Werner Fust am 4. Juni 1973 seinen ersten Arbeitstag bei der Post Wil. Hier blieb er bis 1985. Er arbeitete im Zustell- und Umladdienst in der Früh- Mittel- und Nachtschicht. Während seiner Karriere in Wil machte er viele Ablösungen; unter anderem im Glarnerland, im Obertoggenburg und auch ein ganzes Jahr im Rheintal in St.Margrethen. Dann hatte der Posthalter von Lütisburg-Station einen Arbeitsausfall. Werner Fust durfte sieben Wochen als Ablösung den Zustelldienst verrichten. Es war schon immer sein Traum, eine kleine Poststelle zu übernehmen. Dieser Traum ging am 2. Dezember 1985 in Erfüllung. Er und seine Frau übernahmen die Posthalterstelle in Necker. Diese Stelle war eine grosse Herausforderung, da es für ihn ein neues Metier war. Trotzdem war die Arbeit wie auf Werner Fust zugeschnitten. «Es war die Stelle meines Lebens.» Das Paar war ein eingespieltes Team. Auch für ihre zwei Kinder war es wunderbar, in der Post aufzuwachsen: Beide Eltern waren immer zu Hause. Als sie klein waren, durften sie in der Post mithelfen, als sie älter wurden, mussten sie. 1997 war jedoch klar, dass dieser Traum bald zu Ende gehen wird. Es wurde entschieden, dass die kleineren Poststellen innerhalb von fünf Jahren geschlossen werden sollten. Werner Fust hätte eine grössere Poststelle übernehmen können. Somit hätte er jedoch mehrheitlich Bürodienst verrichten müssen und hätte die Abwechslung mit dem Zustelldienst nicht gehabt. Also beschloss er, wieder in die Zustellung zurückzukehren. Er startete im Januar 2004 als Zusteller in Brunnadern, wo er bis zum 22. Dezember 2022 gearbeitet hat. «Es war nicht ganz einfach, sich wieder in ein Team einzufügen», sagt er rückblickend.
Vieles hat sich laut Werner Fust im Laufe der Jahre verändert. «Früher gab es fast in jedem Haushalt eine Zeitung. Heute hat man andere Wege, sich zu informieren.» Die Briefpost sei stark zurückgegangen. Die Paketpost hingegen sei aufgrund der vielen Online-Einkäufe auf dem steigenden Ast. «Früher gab es kleine Briefkästen, Schlitze bei den Türen oder irgendwo im Eingangsbereich. Heute gibt es ein Gesetz, das besagt, dass Briefkästen bei Neu- und Umbauten an der Grundstücksgrenze stehen müssen.» Diese Regel spart den Postboten viel Zeit ein, da sie nun direkt zu den Briefkästen hinfahren können.
Was Werner Fust an seinem Beruf besonders gefallen hat, war es, immer an der frischen Luft zu sein. «In einer Schneelandschaft mit strahlender Sonne in Hemberg Post zu verteilen, fühlte sich an wie Ferien. Das war jeweils ein absolutes Highlight», erinnert sich Werner Fust. Allerdings war das Wetter auch manchmal wild. Ein- bis zweimal im Winter sei es vorgekommen, dass der Bauer ihn bei einem Schneesturm wieder herausziehen musste. Was er auch geschätzt hat, ist, dass er über die Jahre viele interessante Menschen kennenlernen durfte. Er kennt beinahe das ganze Neckertal und viele Leute persönlich. In den Sommerferien spielte Werner Fust jeweils «Ortschaft erraten». Er hat sich die Ortschaften auf Postkarten angesehen, überlegte, was gezeigt wurde und überprüfte auf der Rückseite, ob er recht hatte.
Im Toggenburg gibt es viele Hunde. Davon kann Werner Fust ein Lied singen. Manche Postboten bestechen die Hunde mit «Hundeguetzli», was für Werner Fust nicht in Frage kam. Er hat über die Jahre gelernt, wie er am besten mit den Hunden umgeht: Er spricht mit ihnen und hält Blickkontakt. Angst hatte er nie. Trotzdem wurde er zweimal von einem Hund gebissen. Eines Tages war er mit dem Motorrad, anstatt mit dem Auto unterwegs. Er wusste bereits, dass auf diesem Bauernhof ein lieber und ein böser Hund lebten. Er behielt den Bösen im Auge und dieser ging weg. Plötzlich biss ihn der brave Hund von hinten in den Waden. «Er war sich nicht an die drehenden Räder des Motorrades gewohnt, und hat aus Angst zugebissen», erklärt Werner Fust. Beide Male waren es nur kleine Bisse und nichts Tragisches.
An einen Tag in seiner Postkarriere kann sich Werner Fust besonders gut erinnern. Denn er sah während der Autofahrt im Rückspiegel plötzlich, wie ein Paket davonflog. Früher wurden die Pakete noch mit einem Gummiband auf dem Dachträger befestigt. Das Paket war nicht ausreichend gesichert und fiel vom Auto. Er fuhr zurück und packte es wieder ein. «Zum Glück hatte es niemand gesehen», sagt Werner Fust und grinst verschmitzt. Heute sind die Postfahrzeuge etwas grösser und brauchen keinen Dachträger mehr.
Das tägliche Aufstehen um 5 Uhr wird Werner Fust nicht vermissen. Jetzt freut er sich besonders aufs Fahrradfahren im Sommer und Skifahren im Winter und auf ein schönes Zuhause. Ausserdem möchte er die Zeit als Grossvater so richtig auskosten – das Leben in vollen Zügen geniessen.
Soraya Stoni
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