Gianfranco Salis
gehört zu den Initianten eines neuen Fests im Seedorf Schmerikon.
Wer ins Wattwiler Zentrum fährt, erblickt jedes Mal die Brandruine des ehemaligen Café Diggelmann. Wir haben dessen Besitzer Pius Diggelmann an seinem neuen Arbeitsort im Madlen's Cafe getroffen.
Wattwil Der 11. April 2022 hat sich ins Gedächtnis von Pius Diggelmann wortwörtlich eingebrannt. Es war der Tag, an dem nicht nur sein Heim, sondern auch seine Existenz einem verheerenden Feuer zum Opfer fiel: Das Café Diggelmann im Zentrum von Wattwil brannte lichterloh. «Meine Frau und ich standen über Nacht vor dem Nichts», sagt er und nippt an seinem Kaffee. Im für seinen neuen Arbeitsort typischen limettengrün gekleidet sitzt der gelernte Koch und Bäcker im Madlen's Café an der Bahnhofstrasse und blickt zurück. Grund für das Treffen war eigentlich die Frage, wie es mit der Liegenschaft, die gebrannt hat, weitergeht (siehe Kasten). Doch noch interessanter war der Mensch Pius Diggelmann.
Das Jahr 2022 meinte es nicht gut mit dem 63-Jährigen. Denn der Brand im April sollte nicht der letzte Schicksalsschlag bleiben, der ihn dieses Jahr ereilt. Etwas mehr als drei Monate später muss erneut eine Blaulichtorganisation ins Wattwiler Zentrum ausrücken. Die Diggelmanns wohnen zu diesem Zeitpunkt gleich gegenüber ihres ehemaligen Heimes in einer Wohnung über dem Coiffeur zum Dorfplatz. In den frühen Morgenstunden des 18. Juli kreist die Rega über ebendiesem Platz. Der Grund: Pius Diggelmanns Frau Renata erleidet einen plötzlichen Herzinfarkt. Sie sollte es nicht mehr lebend ins Spital schaffen. «Viele glauben, ihr Tod habe einen Zusammenhang mit dem Brand im Frühjahr», sagt Pius Diggelmann. Doch das glaubt er nicht. «Im Gegenteil. Sie hat es genossen, mehr Zeit für sich zu haben, statt dauernd mit den Gedanken beim Geschäft zu sein.» Mittlerweile kann Pius Diggelmann über den Tod seiner Frau sprechen. Das hilft und half ihm beim Verarbeiten des komplett unerwarteten Todesfalls. Mit seinen Gefühlen hält er auch nicht hinterm Berg. Als er auf dem Handy das Lied abspielt, dass an der Beerdigung seiner Frau gesungen wurde, stehen ihm Tränen in den Augen.
Doch wie schafft man es, nach solch tragischen Ereignissen wieder ins Leben zu finden? Der 63-Jährige kennt das Geheimnis. «Ich war mein Leben lang ein positiv eingestellter Mensch», sagt er. Und die Anteilnahme und Solidarität, welche ihm sowohl nach dem Brand als auch nach dem Tod seiner Frau entgegengebracht worden sind, seien enorm gewesen. Er nennt ein kleines Beispiel. «Nach dem Feuer war eines Tages ein kleiner, unscheinbarer Brief in der Post. Aus Schaffhausen, von Leuten, die wir nicht kannten. Darin stand: 'Wir haben nicht viel, aber Sie haben ja noch weniger.' Dem Brief beigelegt war eine Zehnernote.» Auch sein direktes Umfeld ist Pius Diggelmann eine grosse Stütze. «Man darf sich dem Leben nicht verschliessen und sich zurückziehen», sagt er. Die Arbeit in Madlen's Café, die Gespräche mit Gästen und den Arbeitskollegen tue im gut. Bei ihr, Madlen Kamber, und ihrer Familie wird er im Übrigen auch Weihnachten feiern.
Zurzeit laufen die Abbrucharbeiten der oberen zwei Stockwerke des ehemaligen Café Diggelmann. Dies geschieht aus sicherheitstechnischen Gründen. Denn eigentlich dürfen Liegenschaften – auch nach einem Brand – erst abgebrochen werden, wenn das Projekt für einen Neubau vorhanden ist.
Vor einigen Wochen wurde eine Schadstoffanalyse an der Brandruine durchgeführt, bei welcher auch Asbest nachgewiesen wurde. Das Abbruchmaterial muss dementsprechend speziell entsorgt werden. «Bis Weihnachten sollten die aktuellen Abbrucharbeiten abgeschlossen sein. Dann kann ich mir zusammen mit der Firma E. Weber als Generalunternehmen Zeit für die Projektierung des Neubaus nehmen», sagt Pius Diggelmann. Geplant ist, einen Teil wieder einer gewerblichen Nutzung zuzuführen und einige Eigentumswohnungen im Neubau unterzubringen. Für Pius Diggelmann ist indes klar, dass er mit seinen 63 Jahren nicht wieder ein Café eröffnen wird.
Da sich die Liegenschaft im Dorfzentrum in der Kernzone befindet, hat Pius Diggelmann bereits jetzt die Denkmalpflege ins Boot geholt. Die Fassade soll später in einem ähnlichen Erscheinungsbild daherkommen, wie zuvor, damit sich der Neubau optimal ins Ortsbild einfügt. Nach dem jüngsten Feuer im April – das Haus brannte 1985 kurz vor dem Erwerb durch die Diggelmanns bereits einmal – ist im Dachgiebel etwas zum Vorschein gekommen, dass auch das Toggenburger Museum interessiert. Auf den Balken sind die Jahreszahl 1783, das Baujahr des Hauses, und eine Inschrift erkennbar.
Von Martina Michel
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